Handzettelhochburg Deutschland - Schnäppchenjagd auf Kosten der Umwelt

München – Mit dem angekündigten Verzicht auf gedruckte Werbeprospekte hat zuletzt die Supermarktkette Rewe in der Handelsbranche für Aufsehen gesorgt. Eine repräsentative Umfrage von mehr als 1.300 Befragten in Deutschland der Strategieberatung Oliver Wyman zeigt, dass der Handzettel für Konsumenten hierzulande noch weiter Relevanz besitzt: Etwa 60 Prozent gaben an, diese Informationsquelle regelmäßig zu nutzen. Vor allem Aktionspreise für Lebensmittel stehen im Fokus des Interesses und locken in die Läden. Neben älteren Verbraucherinnen und Verbrauchern studiert die preissensible Kundschaft die gedruckten Wegweiser zu Sonderangeboten besonders intensiv. Vor allem Discounter und aktionsintensive Großflächenformate dürften sich nach Sicht der Oliver Wyman-Experten schwertun, ihr Werbematerial in einem ähnlichen Tempo auf digitale Kanäle umzustellen. Die Studie offenbart auch: Selbst bekennende Werbungsverweigerer greifen hin und wieder zum verpönten Handzettel. 

Wo finde ich Kaffee im Angebot, wer verkauft Schokolade für kleines Geld? In Millionenauflage flattern im Wochentakt Aktionspreise in Deutschlands Briefkästen – auf bedruckten Prospekten, die im Branchenjargon auch Handzettel genannt werden. Getrieben von explodierenden Kosten für Druck und Papier, einem stärkeren Nachhaltigkeitsbewusstsein und im Zuge ihrer Digitalisierung, haben erste Händler wie Obi und Rewe den Ausstieg aus der Werbeform angekündigt. Andere Händler reduzieren im Gleichschritt mit dem Ausbau digitaler Kanäle die Auflage ihrer Handzettel deutlich. Eine repräsentative Befragung der Strategieberatung Oliver Wyman zeigt: Dieses Umsteuern ist keine Kleinigkeit. Denn 60 Prozent der Konsumenten blättern heute mindestens einmal pro Woche in den bunten Werbeblättern, weitere 15 Prozent tun dies zumindest alle paar Monate. „Der Verzicht auf die angestammte Werbeform ist kein einfacher Schritt“, kommentiert Rainer Münch, Partner bei Oliver Wyman. Das größte Interesse an den Handzetteln besteht laut Studie, wenn Lebensmittel und Getränke beworben werden. „Angesichts der gegenwärtigen Inflation erhalten Aktionspreise eine noch größere Bedeutung“, sagt Münch.

Zielgenauer als mit den Handzetteln können sich Händler über digitale Angebote wie Webseiten, Newsletter oder Apps an einzelne Konsumentengruppen wenden. Dafür bräuchte es besonders die Offenheit auf Käuferseite, erklärt Münch. „Noch allerdings sind die Beharrungskräfte der Kundschaft groß.“ Zudem hätten nicht alle Handelsorganisationen schon die nötige digitale Reife erreicht. „Die alternativen Digitalkanäle sind nicht überall etabliert“, sagt der Oliver Wyman-Handelsexperte. In einer guten Position auf eine zielgerichtetere, papierlose Kommunikation zu setzen, sind insbesondere solche Händler, die bereits früh digitale Kanäle zum Kunden etabliert haben und bei denen die Preissensibilität der Käufer weniger ausgeprägt ist. „Nicht bei jeder Handelskette würde ein Verzicht auf Handzettel schon reibungslos funktionieren“, sagt Münch.

Hohe Bedeutung der Prospekte im Discount

Schon seit Juni hat die Heimwerkerkette Obi Handzetteln abgeschworen. In Baumärkten spielen die Prospekte allerdings laut Befragung auch eine vergleichsweise geringe Rolle. Noch deutlich weniger Aufmerksamkeit finden diese in Haushalts- und Elektronikmärkten, Drogerien, Möbelgeschäften sowie Schuh- und Modehäusern. Innerhalb des Lebensmittelsegments erweisen sich Discounter als führend.

Die Studie offenbart zwei gegenläufige Trends auf Kundenseite: Ungebrochene Schnäppchenlust und wachsendes Umweltbewusstsein geraten in Konflikt. Gerade im Discountersegment führen die Handzettel bei vielen Menschen zu einer fast ritualisierten Vorauswahl der Shoppingroute. Mehr als 50 Prozent der Lebensmittelkäufer attestieren den Handzetteln einen starken Einfluss darauf, wo und was sie einkaufen. Auf der anderen Seite steht der Wunsch nach Eindämmung der Papierflut: So haben immerhin knapp ein Viertel der Befragten, die zumindest gelegentlich in einen Handzettel schauen, eigentlich ein Werbeverbotsschild am Briefkasten installiert. Etwa die Hälfte dieser Gruppe nimmt nach eigener Angabe die Prospekte aus den Geschäften mit, die andere Hälfte bekommt sie per klassischer Zeitungsbeilage ins Haus.

Bei Apps besteht noch Luft nach oben

„Gewisse Kundengruppen wird man nur schwer über Digitalmedien erreichen“, sagt Oliver Wyman-Partner Jens von Wedel, Co-Autor der Studie. Besonders älteren Menschen dürfte der Abschied vom Handzettel schwerfallen – sie sind neben einkommensschwachen Bürgerinnen und Bürgern die eifrigsten Nutzer der Prospekte mit einer wöchentlichen Nutzung zu jeweils 67 und 69 Prozent. Am meisten Interesse erzeugen Lebensmittel-Angebote, die 57 Prozent der Prospekt-Leser studieren. „Es geht zumeist um eine sparsame Haushaltsführung, für die Handzettel eine Orientierungshilfe bieten“, sagt von Wedel. Allerdings nutzen schon 41 Prozent der Befragten die Webseite oder den Onlineshop des Händlers, um sich über aktuelle Angebote zu informieren. Andere Informationsquellen sind deutlich unbeliebter: Mit ihren Newslettern (29 Prozent Aufmerksamkeit), Apps (22 Prozent) und sozialen Medien (10 Prozent) haben die Händler noch keine große Durchdringung erreicht.

„In der Verbesserung ihrer Digitalkanäle liegt die Hauptaufgabe der Händler“, sagt von Wedel. „Noch vernimmt man Unzufriedenheit von Kundinnen und Kunden über ein oft beschränktes Angebot in der Onlinewelt der Händler sowie teils eine schlechte Lesbarkeit und Übersicht. Der Handelsexperte merkt an: „Die Herausforderung ist gewaltig. Die digitalen Präferenzen und das Format des Handzettels sind seit Jahrzehnten etabliert. Die Umgewöhnung der Konsumenten wird ein Kraftakt werden.“ Ein komplettes Verschwinden der gedruckten Handzettel aus den Briefkästen ist somit in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich. Wenn die Händler ihr Angebot allerdings weiter ausbauen und die Attraktivität von Apps & Co. erhöhen, könnte das Smartphone bald auch in der Breite zum zentralen Einkaufsbegleiter werden.

 

Über die Studie

Die Studie ist repräsentativ über die deutsche Bevölkerung über 18 Jahren. Sie wurde im August 2022 online durchgeführt. Es wurden über 1.300 deutsche Konsumentinnen und Konsumenten befragt.

 

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Oliver Wyman GmbH

Dr. Davina Zenz-Spitzweg

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