Studie: Unabhängigkeit von Öl- und Gasimporten bis zum Jahr 2037 kostet 900 Milliarden Euro

München – Der vollständige Abschied von fossilen Brenn- und Kraftstoffen im Wärme- und Mobilitätssektor erfordert nach Berechnungen der Strategieberatung Oliver Wyman einen hohen finanziellen Aufwand – denn ein fast zweimal so hoher Strombedarf fällt mit dem Umbau der Energieversorgung von konventionell zu erneuerbar zusammen. 900 Milliarden Euro wären in Deutschland in den kommenden 15 Jahren nötig, um ausreichende, alternative Erzeugungskapazitäten für Erneuerbare aufzubauen sowie entsprechende Verteilnetze und Energiespeicher zu installieren. Zudem wird intelligente Verbrauchssteuerung laut Analyse zu einem unverzichtbaren Baustein für die geplante Energiewende – ohne sie drohen insbesondere in den Wintermonaten Engpässe. Bürgerinnen und Bürger werden für die Unabhängigkeit von Kohle-, Öl- und Gaseinfuhren mitunter Ansprüche zurückstecken müssen. 

Mit einem massiven Ausbau von Windkraft und Photovoltaik sowie einem leistungsfähigeren Stromnetz kann Deutschland binnen 15 Jahren seine Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen deutlich reduzieren. Die Kosten dafür sind jedoch enorm. Auf rund 900 Milliarden Euro veranschlagt eine Studie der Strategieberatung Oliver Wyman die nötigen Investitionen für die umfassende Elektrifizierung von Gebäudeheizungen sowie des Straßenverkehrs. „Mehr als 60 Prozent des deutschen Primärenergiebedarfs kommt aktuell aus Einfuhren. Wärme und Mobilität sind die entscheidenden Hebel für den Abschied von Kohle, Öl und Gas“, sagt Jörg Stäglich, Leiter der europäischen Energy & Natural Resources Practice und globaler Leiter des Bereichs Energieversorger bei Oliver Wyman. Stäglich warnt davor, nur auf die Erzeugung zu fokussieren. „Das Verteilnetz in seinem heutigen Zustand stößt bald an seine Grenzen – es droht eine Überlastung mit dem Risiko von Ausfällen auf lokaler Ebene.“ 

Mit 650 Milliarden Euro entfallen gut zwei Drittel der nötigen Investitionen auf den Ausbau der Erzeugungskapazitäten und Speicher, weitere 210 bis 270 Milliarden Euro müssen in die Netze fließen. „Um die Ausbauziele der Bundesregierung zu erreichen, sind bis 2037 fünf bis sieben Mal höhere Investitionen in Windenergie und Photovoltaik nötig als im Schnitt der vergangenen fünf Jahre“, sagt Dennis Manteuffel, Principal in der Energy & Natural Resources Practice von Oliver Wyman. „Doch selbst damit werden wir den gesamten Bedarf nicht komplett decken können.“ Aber auch in diesem Fall fehlen laut der Studie noch jährlich 30 Terawattstunden (TWh) Strom, da konventionelle Kapazitäten abgebaut werden und der Strombedarf gleichzeitig deutlich steigt – die Lücke entspricht 3,5 Prozent des erwarteten deutschen Gesamtverbrauchs im Jahr 2037. „Da die Erzeugung durch Windkraft und Photovoltaik stark vom Wetter abhängt und damit nicht unbedingt deckungsgleich mit dem Bedarf ist, tritt diese Lücke nicht durchgängig, sondern insbesondere in den Wintermonaten auf“, erläutert Manteuffel. „Auf die aktuelle Abhängigkeit von Gasimporten könnte eine neue Abhängigkeit von Stromimporten folgen.“

Es drohen häufige Engpässe

Die Alternative zu Stromimporten ist teuer, denn dazu müssten Gaskraftwerke bereitstehen. „Selbst wenn die Deckungslücke gering scheint – sie kann zu massiven Problemen führen“, sagt Thomas Fritz, Partner in der Energy & Natural Resources Practice von Oliver Wyman. 450-Mal im Jahr droht laut Studie die Situation, dass 15 Minuten lang nicht genug Energie in Deutschland produziert werden kann. „Während weniger Stunden im Jahr beträgt die Lücke bis zu 60 Gigawatt – das ist die Leistung von 150 durchschnittlichen Gaskraftwerken“, sagt Fritz. Da die Engpässe vor allem punktuell im Winter entstehen, rechne sich der Aufbau eines konventionellen Kraftwerkparks als Backup nicht. Der Oliver Wyman-Analyse liegt der von der Bundesnetzagentur genehmigte Szenariorahmen für den „Netzentwicklungsplan Strom“ zugrunde, wonach in 15 Jahren etwa 14 Millionen strombetriebene Wärmepumpen Gebäude beheizen und zudem circa 32 Millionen E-Autos auf deutschen Straßen unterwegs sind. „Um diese Ziele zu erreichen, ist gleichzeitig ein signifikanter Netzausbau notwendig“, sagt Fritz. Allein im Verteilnetz seien dafür 100 bis 135 Milliarden Euro nötig – also jährlich bis zu neun Milliarden Euro. „Das ist mehr als doppelt so viel wie die vier Milliarden Euro, die 2021 investiert wurden.“ 

Die Herausforderung für den Energiesektor steigt, weil sich Heizen und Mobilität mit immer mehr Wärmepumpen und E-Autos zunehmend in das Stromnetz verlagern. „Die wichtigsten Antworten darauf sind eine intelligente Steuerung und ein konsequentes Lastmanagement“, sagt Fritz.

Gesamtgesellschaftliche Kraftanstrengung notwendig

„Weiterhin ist es besonders wichtig, dass die Bundesregierung neue regulatorische Anreize für Investitionen setzt und die Genehmigungsverfahren entschlackt und beschleunigt“, ergänzt Oliver Wyman-Experte Stäglich. Zudem sei die Unterstützung seitens der Bevölkerung elementar: „Es geht nicht mehr nur darum, Akzeptanz für neue Windparks in der näheren Umgebung zu schaffen“, sagt Stäglich. „Wenn Solaranlagen etwa im Winter nicht genug Energie produzieren, müssen Ladevorgänge von E-Autos oder Wärmepumpen entsprechend gesteuert werden. Dies kann zum Beispiel durch koordiniertes Laden außerhalb von Spitzenzeiten oder ein Verbot von Schnellladevorgängen erfolgen. Eine Förderung von Off-Grid Charging kann hierbei ebenfalls helfen.“ 

Über die Studie 

Für die Studie untersuchte Oliver Wyman die Folgen der Wärme- und Mobilitätswende auf die Versorgungssicherheit sowohl in Hinblick auf das Netz als auch in Bezug auf die Stromerzeugungskapazitäten. Analysiert wurde dabei die Situation im Jahr 2037, wie sie im Szenariorahmen des „Netzentwicklungsplans Strom“ angenommen wird, der von der Bundesnetzagentur genehmigt wurde.

Über Oliver Wyman

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