Von PS zu Bytes: Kunden wechseln für das richtige Infotainmentsystem immer häufiger den Autohersteller

Oliver Wyman Infotainment-Studie

München  Der Kampf um die Schnittstelle zum Autofahrer ist voll entbrannt: Globale Tech-Riesen greifen mit ihren Kommunikationslösungen nach der Macht im Automobil – und setzen Autohersteller unter Druck. Als Einfallstor dient das Infotainmentsystem, das gerade bei jüngeren Fahrern immens an Bedeutung beim Autokauf gewonnen hat. Eine Studie der Strategieberatung Oliver Wyman zeigt, wie stark der Fokus auf das optimale Infotainment-Paket sogar die Bereitschaft zum Markenwechsel antreibt. Tech-Player bringen sich in Stellung, um die veränderte Kundenpräferenz zu nutzen und die Datenhoheit über das gesamte Fahrzeug bis hin zum Betriebssystem übernehmen zu können. Automobilhersteller bringen sich mit eigenen Strategien in Stellung, um die Attacken abzuwehren. Denn das Potenzial für profitable neue Geschäftsmodelle ist hoch.

Beim Infotainmentsystem zeigen sich Autofahrer zunehmend kompromisslos. Wenn die eingebauten Lösungen für Navigation und Unterhaltung nicht ihren Erwartungen entsprechen, leidet die Loyalität zur eigentlich bevorzugten Automarke massiv. 30 bis 40 Prozent der Menschen in Europa und den USA würden sogar den Fahrzeughersteller wechseln, nur um ihren Infotainment-Anspruch auf der Straße zu befriedigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie der Strategieberatung Oliver Wyman. „Die Zahl der Wechselwilligen wird weiter steigen“, prognostiziert Andreas Nienhaus, Partner bei Oliver Wyman. Wohin die Reise gehen könnte, zeigt das Beispiel China: Dort sind laut Erhebung schon bis zu 80 Prozent der Befragten bereit, die Automarke für ein besseres Infotainmentsystem-Erlebnis zu wechseln.

Vom Statussymbol zum rollenden Computer – das ist die Entwicklung, die das Automobil gerade durchlebt. „Den Trend befeuern vor allem junge Menschen, denen digitale Dienste wichtiger sind als das Markenlogo auf der Motorhaube“, erläutert Nienhaus. 54 Prozent der Befragten weltweit erwarten ein voll integriertes Infotainmentsystem im Vergleich zur ausschließlichen Nutzung des Smartphones während der Fahrt. Bei den erwünschten Leistungsmerkmalen liegt die dynamische Routenplanung, die Kunden häufig durch Dienste wie Google Maps bereits gewohnt sind, mit 65 Prozent vorne. Es folgen die digitale Fahrzeugdiagnose mit 63 Prozent und das Nutzen von Multimedia-Angeboten wie zum Beispiel Radio und Podcasts mit 61 Prozent.

Navigationssystem als Trojanisches Pferd

In sieben Märkten hat Oliver Wyman für die Erhebung insgesamt 5.600 Personen befragt – neben Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien blickten sie auch in die USA und nach China. Abseits einzelner Funktionen erhielten in der Studie die Aspekte Fahrzeugsicherheit (69 Prozent), Datensicherheit (69 Prozent) und Einfachheit der Nutzung (66 Prozent) die meiste Zustimmung. Das Umdenken der mobilen Surfer ist eine Steilvorlage für die Riesen aus dem IT-Business. „Das Infotainmentsystem bildet für die Tech-Angreifer das Einfallstor“, sagt Automobil-Experte Nienhaus. „Sie nutzen ihre Erfahrungen aus dem Smartphone-Geschäft mit digitalen Diensten und wollen so zunächst die Kommunikationsschnittstelle zwischen Fahrer und Fahrzeug besetzen.“

Doch auch über dieses sogenannte Human Machine Interface (HMI) hinaus peilen sie eine entscheidende Rolle an. „Das große Ziel ist, auch das Betriebssystem des Autos anzubieten“, sagt Nienhaus. Google beispielsweise lockt mit seiner Navigationslösung „Google Maps“ – habe aber mit „Android Automotive OS (AAOS)“ auch ein Betriebssystem für das gesamte Fahrzeug im Angebot. Die wachsende Automobil-Kompetenz der IT-Dienstleister könnte zu einer starken Verlagerung innerhalb der Wertschöpfungskette führen: „Das Auto droht zur reinen Hardware zu werden, die dann von den Tech-Playern mit IT gefüllt wird“, sagt Nienhaus. „Die entscheidende Frage ist, ob der klassische Autohersteller zu einer Art Auftragsfertiger degeneriert.“

Hersteller suchen die passende Strategie

Die Reaktion auf den Angriff der Tech-Player ist unterschiedlich: „Einzelne Hersteller positionieren sich beim Thema Infotainment und Fahrzeug-IT schon sehr deutlich“, sagt Steffen Rilling, Projektleiter bei Oliver Wyman und Co-Autor der Studie. So habe Volkswagen angekündigt, ein eigenes Betriebssystem für seine Fahrzeuge zu entwickeln. „Diese Strategie verfolgen ebenfalls andere deutsche Premiumhersteller“, sagt Rilling. Andere Autobauer wie GM und Ford in den USA oder auch Stellantis in Europa setzen dagegen auf Google-Technologie. „Der Einstieg in eine eigene IT-Entwicklung erfordert hohe Investitionen – dafür sichert er aber die Kontrolle über die Daten und den Zugriff auf die Schnittstelle zum Kunden sowie den gesamten Service“, sagt Rilling. „Das eröffnet ein höheres Differenzierungspotenzial und kann sich finanziell bereits mittelfristig auszahlen.“ So erwarten die Oliver Wyman-Experten, dass im Automobilsektor in den nächsten fünf bis zehn Jahren bis zu 25 Prozent der Profite mithilfe von Fahrzeug- und Fahrerdatenbasierten Angeboten entlang des Kundenlebenszyklus generiert werden.

Bereits ein beträchtlicher Teil der Kunden zeigt die Bereitschaft, persönliche Daten mit den Anbietern zu teilen. Insgesamt würden gut 70 Prozent der Befragten in der Studie ihre Daten weitergeben, um Zugang zu Infotainment-Funktionen und -Diensten im Fahrzeug zu erhalten. Während mit 40 Prozent eine beträchtliche Zahl an Befragten ihren Aufenthaltsort preisgeben würde, ist die Zurückhaltung beim Teilen von finanziellen Daten besonders hoch – sie liegt bei über 80 Prozent. Im Wettbewerb um solche Informationen haben sich die Automobilhersteller allerdings einen Vertrauensvorsprung erarbeitet: Bei der Frage, mit wem die Teilnehmer der Studie am ehesten ihre Daten teilen würden, lagen sie auf Platz eins – vor staatlichen Einrichtungen, Tech-Konzernen und Start-ups. „Dennoch müssen die Autohersteller noch einiges an Überzeugungsarbeit bei ihren Kunden leisten, um die potenziellen Gewinne zu realisieren“, sagt Rilling. 

Über die Studie

Für die Studie hat Oliver Wyman über 5.600 Personen in sieben Ländern (Deutschland, China, Frankreich, Italien, Spanien, UK und USA) mit unterschiedlichem Hintergrund und über alle Altersklassen befragt. Ein Ziel der Befragung war es, herauszufinden, welche Bedeutung das Thema Infotainmentsystem beim Autokauf aus Sicht von Käufer/innen hat und welche Rolle die Weitergabe von Daten hierbei für sie spielt. Die Befragung fand im Frühjahr 2021 statt.

Über Oliver Wyman

Oliver Wyman ist eine international führende Strategieberatung mit weltweit über 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 60 Büros in 29 Ländern. Wir verbinden ausgeprägte Branchenexpertise mit hoher Methodenkompetenz bei Digitalisierung, Strategieentwicklung, Risikomanagement, Operations und Transformation. Wir schaffen einen Mehrwert für den Kunden, der seine Investitionen um ein Vielfaches übertrifft. Oliver Wyman ist ein Unternehmen von Marsh McLennan (NYSE: MMC). Unsere Finanzstärke ist die Basis für Stabilität, Wachstum und Innovationskraft. Weitere Informationen finden Sie unter www.oliverwyman.de. Folgen Sie Oliver Wyman auf LinkedIn, Twitter, Facebook und Instagram.