Nach wie vor sind Frauen in Führungspositionen im Handel eher die Ausnahme. Über die Herausforderungen und Chancen auf dem Weg zu mehr Diversität sowie Fördermöglichkeiten sprach Oliver Wyman mit Ana Maria Jaime, Head of Sustainability bei MediaMarkt Saturn und Melanie Reimann, Leiterin Warenflusssteuerung bei Coop und Mitgründerin des Netzwerks WiR – Women in Retail & Consumer Goods. Das Gespräch führten Rainer Münch, Partner, und Vanessa Seip-Greithaner, Principal bei Oliver Wyman und Mitbegründerin des WiR Netzwerks.
Q: Diversität ist in aller Munde. Aber was bringt es Unternehmen tatsächlich, wenn sie sich für dieses Thema einsetzen?
Jaime: Aus meiner Sicht verändert sich vor allem die Art der Zusammenarbeit. Frauen suchen eher die Balance und gleichen Konflikte aus. Das versachlicht Debatten und verändert die DNA von Teams bis in die Führungsspitze. Zudem tritt das „Wir“ in den Vordergrund und es wird mehr kommuniziert. Wenn eine Frau in eine Führungsposition kommt, arbeiten Teams seltener in Silos. Was Männer öfter irritiert, ist, dass es auch mehr Emotionen gibt. Frauen sind manchmal sehr leidenschaftlich bei der Sache.
Reimann: Kommunikation ist ein wichtiges Stichwort. Mit mehr Diversität wird sie nach innen wie nach außen ein Stück weit empathischer. Damit steigen die Chancen, die Menschen wirklich zu erreichen. Intern ist ein weiterer Vorteil nicht zu unterschätzen: Frauen bringen andere Kriterien in Entscheidungen mit ein. Das macht Diversität extrem wertvoll für Unternehmen.
Q: Wenn das so ist, stellt sich die Frage, warum die Führungsstrukturen im Handel noch männlich dominiert sind?
Reimann: Veränderungen brauchen Zeit und wir beide sind doch ein gutes Beispiel, dass die männliche Dominanz abnimmt. Man sollte nicht vergessen, dass der Handel von seinen Strukturen her zu den eher konservativen Branchen zählt und sich dem gesellschaftlichen Wandel daher tendenziell etwas später als andere geöffnet hat.
Jaime: Hinzu kommt ein weiterer Grund, gerade im Verkauf. Viele Einzelhändler erwarten von ihren Führungskräften auf der Fläche, dass sie von Montag bis Samstag von 9 Uhr morgens bis 9 Uhr abends präsent sind. Dieses Modell akzeptieren viele Frauen nicht. Je stärker wir uns von dieser Erwartungshaltung lösen und alternative Modelle auch in solchen Positionen als selbstverständlich betrachten, desto größer sind die Chancen von Frauen, aufzusteigen.
Reimann: Super Punkt! Generell müssen wir es im Handel Frauen, wie im Übrigen auch Männern, erleichtern, beruflich erfolgreich zu sein und sich um die Familie zu kümmern. Flexible Arbeitszeitmodelle bis in das Top-Management hinein können hierbei ein Hebel sein. Zugleich müssen wir bei der Förderung weiblicher Talente umdenken. Was spricht dagegen Frauen weiter zu unterstützen, wenn sie Mutter geworden sind? Eigentlich nichts, beziehungsweise sollten die gleichen Kriterien wie bei Männern gelten. Aber dieser Gedanke ist im Handel wie in vielen anderen Branchen längst noch nicht überall angekommen.
Q: Helfen an dieser Stelle die viel diskutierten Quoten?
Jaime: Ein klares Ja. Und das aus einem einfachen Grund: Quoten führen dazu, dass sich Unternehmen wirklich bei jeder offenen Position männliche und weibliche Kandidaten anschauen. Manch einer befürchtet ja, dass so eine Quote dazu führt, dass sich Unternehmen für eine schlechter qualifizierte Frau entscheiden. Aber das ist Unsinn! Quoten führen dazu, dass gleich oder besser qualifizierte Frauen ihre Chance in einer noch von Männern dominierten Welt bekommen. Selbst mit Quote wandelt sich die Situation allerdings nur langsam, da solche Veränderungen ja nur bei freiwerdenden Positionen greifen. Aber sie wandelt sich und das ist gut so.
Q: Gibt es unabhängig von der Quote tatsächlich noch Vorbehalte gegen Frauen in Führungspositionen?
Jaime: Wo soll ich anfangen? Ich bin Frau, Mutter, Ausländerin und habe eine starke Persönlichkeit. Da kommt schon was zusammen, gerade am Anfang einer Karriere. Ich habe lange im Einkauf gearbeitet und erinnere mich noch gut an eine wichtige Verhandlung mit einem großen Lieferanten. Ich kam als Letzte in den Raum und die Vertreter des Lieferanten – alles Männer – hatten bereits Platz genommen. Noch bevor ich mich vorstellen konnte, sah ich mich mit Kaffeebestellungen konfrontiert. Mein Team war schockiert. Ich habe den Herren aber einfach ihre Kaffeewünsche erfüllt. Als sich die Situation auflöste, wollten die am liebsten im Erdboden versinken. Die anschließende Verhandlung war dann natürlich ein Kinderspiel.
Reimann: Die Vorbehalte werden weniger, aber es gibt sie noch. Das gilt nicht nur für unsere Branche, sondern weit darüber hinaus. Ein Beispiel, da wir ja schon das Thema Quote angesprochen hatten: Wenn Frauen befördert werden, hört man auch in der Öffentlichkeit nach wie vor gern von der „Quotenfrau“. Das könnte spaßig gemeint sein, aber ich befürchte, dahinter steckt oft mehr. Es braucht offenkundig noch Zeit, bevor Frauen in Top-Positionen genauso selbstverständlich sind wie Männer.
Q: Was können Unternehmen machen, um diese Zeit zu verkürzen?
Reimann: Viele Unternehmen auch im Handel stellen sich mittlerweile der Herausforderung. Oft nutzen sie Sponsorenmodelle, um gezielt weibliche Talente zu fördern. Diese Führungskräfte wissen aus persönlichen Gesprächen oder der Zusammenarbeit gut, was diese Talente können und welche Ziele sie verfolgen. Sie bringen deren Namen bei offenen Stellen oder Projekten ins Spiel. Ich selbst war mir der Bedeutung von Sponsoren lange nicht bewusst, bin mir aber heute sicher, dass solche Förderer auch mir Türen geöffnet haben.
Q: Sind Sponsoren also ein wesentlicher Schlüssel zum beruflichen Erfolg?
Reimann: Das würde zu weit gehen. Beruflicher Erfolg basiert in erster Linie auf Leistung. Aber wenn die stimmt, spielen Sponsoren eine wichtige Rolle.
Jaime: Genauso ist es. Sponsorinnen und Sponsoren können Wege ebnen und Türen öffnen. Doch am Ende muss Jede mit Leistung überzeugen. Bei deren Vermarktung können Frauen im Übrigen noch einiges besser machen. Viele verweisen in erster Linie auf den Erfolg des Teams. Sponsoren müssen aber verstehen, was ihr Gegenüber persönlich kann und geschafft hat, um weiterhelfen zu können.
Q: Welche Rolle spielen Netzwerke?
Jaime: Eine kluge Frau hat einmal gesagt: „Männer kümmern sich um ihre Karriere, Frauen um ihre Angehörigen“. Frauen denken viel zu selten daran, mit anderen Mittagessen zu gehen, einen Kaffee zu trinken oder auch einmal einen gemeinsamen Abend zu verbringen. Sicher: Oft müssen sie nach Hause, weil die Kinder allein sind oder private Verpflichtungen warten. Aber ohne die Pflege von Netzwerken funktionieren Karrieren nun einmal nicht. Gerade in einer immer noch männerdominierten Branche wie dem Handel ist der persönliche Austausch mit Kollegen, Vorgesetzten, Mitarbeitenden und Gleichgesinnten aus anderen Unternehmen für Frauen sehr wichtig.
Reimann: Netzwerke sind unverzichtbar für die eigene Karriere. Es ist wichtig, zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit der richtigen Person zu reden. Aber das ist nicht alles: Netzwerke fördern auch die persönliche Entwicklung, da sie einen Blick über den Tellerrand der eigenen Firma hinaus ermöglichen. Daraus ergeben sich Denkanstöße und Handlungsimpulse, die einen selber ebenso weiterbringen wie das Unternehmen. Genau aus diesem Grund haben wir ja vor zwei Jahren das Netzwerk Women in Retail & Consumer Goods (WiR) gegründet.
Q: Was ist das Ziel von WiR?
Reimann: WiR ist ein besonderes Netzwerk, denn es konzentriert sich auf eine Branche und erleichtert damit den Austausch über fachliche und persönliche Themen. Bei WiR unterstützen sich Frauen einerseits gegenseitig, um in ihrer Karriere voranzukommen und andererseits, um in ihren eigenen Unternehmen mehr zu bewirken.
Jaime: Netzwerke wie WiR bieten noch einen weiteren Vorteil: Sie stärken das Selbstbewusstsein von Frauen. Je mehr Kontakt mit Karrierefrauen sie haben, umso weniger fühlen sie sich in einer Außenseiterrolle.
Q: Habt ihr noch einen Tipp, wie Frauen aus eigener Initiative die Diversität in Führungsgremien vergrößern können?
Reimann: Mehr Selbstbewusstsein zeigen. Frauen sollten ein Stück weit mehr aus sich herausgehen und einfach mal ganz klar formulieren, was sie eigentlich wollen. Von der Erziehung her neigen viele dazu, sich zurückzunehmen und darauf zu warten, dass jemand auf sie zukommt. Aber so funktionieren Karrieren nun einmal nicht. Frau muss selber sagen, was sie will, und dann zeigen, dass sie das Zeug dazu hat, die Position auszufüllen.
Q: Hast Du das selber schon einmal gemacht?
Reimann: Zugegebenermaßen erst relativ spät, und zwar vor zwei Jahren. Ich habe das als persönliche Befreiung empfunden. Und auch mein Gesprächspartner hat positiv reagiert, da er so meine Erwartungen besser verstanden hat und darauf eingehen konnte. Solche Gespräche lassen sich im Übrigen nicht planen. Von daher sollte sich jede möglichst frühzeitig über die eigenen Ziele klar werden und mit passenden Argumenten untermauern, um sie im Fall der Fälle aus der Tasche ziehen zu können.
Q: Was wäre Dein Tipp, Ana Maria?
Jaime: Sei Frau! Wir verfügen über ganz andere Waffen als Männer und sollten diese nutzen. Ich spreche in diesem Zusammenhang auch gern von Empowerment. Dabei spielt schon auch die äußere Erscheinung eine Rolle, aber viel wichtiger ist die innere Haltung. Ich darf meine Rolle als Expertin oder Chefin niemals anzweifeln – und schon gar nicht in einem Raum voller Männer.
Q: Noch gibt es diese Räume voller Männer. Wie sieht das in zehn Jahren im Handel aus?
Jaime: Die Dinge sind in Bewegung gekommen und dieses Rad wird auch niemand mehr zurückdrehen. Die Diversität im Handel wird steigen, was Frauen neue Chancen eröffnet und den Unternehmen und der Belegschaft als Ganzes hilft.
Reimann: Das sehe ich genauso. Meine Hoffnung ist, dass meine Nachfolgerin solche Gespräche in zehn oder 15 Jahren gar nicht mehr führen muss, da Diversität auf allen Ebenen eine Selbstverständlichkeit ist.