Die immer strengeren Kreditvergabe-Kriterien und gestiegene Zinsen bedrohen Automobilzulieferer existenziell. Die notwendige kostenintensive Transformation hin zur Elektromobilität wird durch historisch niedrige Margen zusätzlich erschwert. Ohne Gegenmaßnahmen droht eine deutliche Zunahme der Insolvenzen. Für den Zugang zu Finanzierungen ist eine überzeugend kommunizierte und zukunftsfähige Strategie der Zulieferer ausschlaggebend. Banken könnten die Lage verbessern, wenn sie den Automotive-Sektor differenzierter betrachteten.
Die Automobilindustrie befindet sich in der größten Transformation ihrer Geschichte. Die Umstellung von Verbrennungsmotoren auf alternative Antriebe, Digitalisierung und nachhaltige Produktion müssen zeitgleich erfolgreich gemeistert werden. Der Investitionsbedarf ist enorm, doch gestiegene Zinsen und strengere Vorgaben der Banken bei der Kreditvergabe erhöhen die Finanzierungskosten. Zwei Drittel der befragten Zulieferer (66 Prozent) berichten von erschwerten oder deutlich erschwerten Zugängen zu Bankfinanzierungen in den vergangenen drei Jahren. Der Anstieg der Finanzierungskosten trifft die Automobilzulieferer zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn besonders die Transformation zur Elektromobilität erhöht den Kapitalbedarf massiv.
Laut der Umfrage, die Oliver Wyman gemeinsam mit dem Verband der Automobilindustrie (VDA) publiziert, wächst der Pessimismus: Acht von zehn befragten Automobilzulieferern berichten, dass sich die Stimmung in ihrem Unternehmen im Laufe des vergangenen Jahres verschlechtert hat. Die aktuelle Stimmungslage bewerten neun von zehn Befragten als negativ oder äußerst negativ. Im Jahr 2022 war die EBIT-Marge der untersuchten Zulieferer rückläufig und lag bei nur noch 2,9 Prozent. Auch im ersten Halbjahr 2023 verzeichnete nur ein Drittel der befragten Unternehmen (36 Prozent) einen Anstieg der EBIT-Marge. Die Mehrheit der befragten Unternehmen berichtet von einer rückläufigen (43 Prozent) oder stagnierenden (21 Prozent) Profitabilität. Befragt wurden 74 hiesige Automobilzulieferer.
Die Zuliefererindustrie und insbesondere die zahlreichen mittelständischen Unternehmen sind ein zentraler Faktor für eine erfolgreiche Transformation. In der Automobilzuliefererindustrie in Deutschland sind etwa 270.000 Menschen beschäftigt. Zudem wird eine Vielzahl der Innovationen und technologischen Fortschritte in der Automobilindustrie durch mittelständische Zuliefererindustrie getrieben. Ein Rückgang der Produktion der Automobilzulieferer oder eine übermäßige Verlagerung ins Ausland hätte signifikante Auswirkungen auf den Standort Deutschland.Andreas Rade, Geschäftsführer VDA
Die steigenden Kreditkosten verschärfen die wachsenden finanziellen Engpässe. Es droht eine Zunahme der Insolvenzen im ohnhin krisengeschüttelten Automotive-Sektor.Dr. Maximilian Majic, Oliver Wyman
Differenzierung bei Kreditvergabe entscheidend
Besonders betroffen von der Verschlechterung der Finanzierungskonditionen sind laut Studie kleinere Zulieferer sowie Unternehmen, die sich im Besitz von Finanzinvestoren befinden und deshalb einen hohen Verschuldungsgrad aufweisen. Neben höheren Zinssätzen (88 Prozent) macht den Unternehmen besonders zu schaffen, dass die Banken umfangreichere Sicherheiten fordern (49 Prozent), bei den Vertragsbedingungen (Covenants) strengere Maßstäbe anlegen (45 Prozent) und die Laufzeiten der Kredite verkürzen (36 Prozent).
Das Verhältnis zwischen Banken und Automobilzulieferern hat sich laut der Umfrage verschlechtert. Einige Unternehmen bemängeln fehlendes Vertrauen der Finanzierer oder berichten gar von einem Rückzug ihrer Hausbank. Eine Ursache dafür kann darin zu finden sein, dass nicht alle Kreditinstitute ausreichendes Verständnis für den Automotive-Sektor hätten. Es wird zu viel über einen Kamm geschoren, den einen Zulieferer gibt es nicht - eine Differenzierung ist wichtig. Hier gelte es für die Kreditinstitute, entsprechendes Know-how aufzubauen. Eine weitere Verschärfung der Kreditvergabe wird aufgrund der verstärkten Anwendung von ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) erwartet. Laut Studie erwarten 72 Prozent der Automobilzulieferer, dass Nachhaltigkeits-Aspekte binnen zwei Jahren den Zugang zu Finanzierungen stark beeinflussen werden.
Stabilere wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für Transformation benötigt
Aus Sicht der Zulieferer sind die eigene strategische Ausrichtung (76 Prozent) sowie die Einhaltung von Finanzkennzahlen (72 Prozent) die wichtigsten Kriterien, um eine Bankfinanzierung zu erhalten.
Zulieferer müssen ihr Portfolio konsequent optimieren und sich von unprofitablen Produkten verabschieden. Eine zukunftsfähige und langfristige Strategie, die auch in zehn Jahren im Kern noch Bestand hat, ist das Fundament für eine erfolgreiche Finanzierung. Zudem ist es ratsam, so weit wie möglich neue Optionen am Kapitalmarkt auszuloten, denn es bestehen Alternativen außerhalb der traditionellen deutschen Bankenlandschaft. Neben ausländischen Kreditgebern böten auch Unternehmensanleihen oder Darlehensfonds (Debt Funds) Potenzial: Zulieferer mit einer überzeugend kommunizierten, zukunftsfähigen Transformationsstrategie erhalten leichter Kredite und schaffen es auch, neue Finanzierungsformen zu erschließen.
Über die Studie
Die vorliegende Studie verknüpft die Ergebnisse aus zwei von Oliver Wyman durchgeführten Umfragen, einem Oliver Wyman Financial Benchmarking unter 55 deutschen Zulieferern mit Marktdaten sowie Oliver Wyman Marktperspektiven aus Projekten mit Automobilzulieferern, OEMs und Banken. Sie stützt sich dabei insbesondere auf die Ergebnisse einer Umfrage unter 11 deutschen Banken, die im Zeitraum Juli und August 2023 durchgeführt wurde, sowie auf eine Umfrage unter 74 deutschen Automobilzulieferern im Oktober und November 2023.