Rainer Münch: Heute ist Dr. Sebastian Stricker zu Gast, ein echter Social Entrepreneur. Nach dem Berufseinstieg in der Unternehmensberatung war er fast zehn Jahre beim United Nations World Food Programme und wurde dort zum Co-Founder und CEO von „ShareTheMeal“. Im Jahr 2017 hat er diese Idee auf die Privatwirtschaft übertragen und share gegründet. Ein Unternehmen, das man heute als die stärkste Social Brand im deutschsprachigen Raum bezeichnen kann. Eine Aufzählung seiner weiteren Rollen und Engagements würde den Rahmen sprengen. Sebastian ist Vater eines Sohnes und lebt in Wien. Lieber Sebastian, ich freue mich sehr, dass Du heute im Podcast Purpose vs. Profit bei mir zu Gast bist.
Sebastian Stricker: Hallo Rainer. Vielen Dank für die Einladung und ich freue mich sehr, hier sein zu können.
Rainer Münch: Gerne möchte ich mit Dir heute über Werte sprechen und dabei drei Aspekte aufgreifen. Zum einen Deine persönlichen Werte und einen persönlichen Gegenstand, der für Dich Werte repräsentiert oder auch einen Wert repräsentiert. Ich möchte mit Dir über eine große moralische Frage sprechen, was Deine Tätigkeit betrifft, und möchte mit Dir über eine der Lebensfragen von Max Frisch sprechen. Beginnen möchte ich mit der Frage: Was sind denn für Dich wichtige Werte im Berufsleben?
Sebastian Stricker: Na ja. Zunächst würde ich sagen, ich versuche keinen Unterschied zu machen zwischen den Werten in meinem Berufsleben und in meinem privaten Leben. Da gibt es keine so große Trennung. Ich habe früher mal, als ich fertig war mit der Schule, habe ich angefangen zu studieren und wusste nicht, was ich studieren soll, und habe dann aus einer Not heraus Wirtschaft studiert, weil ich mir dachte, da kann man nicht viel falsch machen. Und dann wollte ich nicht anfangen zu arbeiten, habe noch einmal Politik studiert und dann dachte ich mir, mit der Unternehmensberatung kann man nichts falsch machen. Und dann aber nach vier Jahren Unternehmensberatung dachte ich mir, ich muss jetzt anfangen etwas zu machen, wo ich diese Zweifel ablegen kann, so dachte ich damals, und bin eben in den Social Sector gegangen, zur Clinton Stiftung und dann zu den Vereinten Nationen. Ich würde sagen, seitdem müssen die Werte für mich so scheinen, als würden sie mit meinen privaten Werten übereinstimmen können. Ich sage immer, es geht mehr um zwei Dinge in meinem Leben: das eine ist Spaß und das andere ist Gerechtigkeit, in den Projekten, die ich mache. Es ist jetzt seit zwei Jahren auch noch ein Familienwert hinzugekommen. Mir ist meine Familie unendlich wichtig und ich bin so glücklich wie nie zuvor. Und das ist auch manchmal ein Konflikt bei mir.Dieses auf der einen Seite die Familie und die Wichtigkeit, die ich meiner Familie einräume, und dann aber die Gerechtigkeitsprojekte, die ich da sehe und dann sich zu überlegen, wie viel kann ich eigentlich auf das eine geben und wie viel auf das andere. Aber ich würde sagen, das sind wahrscheinlich so die drei wichtigsten Dimensionen, entlang derer ich versuche zu leben.
Rainer Münch: Was ist denn für Dich Gerechtigkeit?
Sebastian Stricker: Glücklicherweise kann ich das für mich mittlerweile beantworten. Ich bin im Wesentlichen Anhänger von John Rawls, der ja diese Idee des Schleier des Nichtwissens prägte. Das ist wahrscheinlich für die meisten Leute das am besten bekannte Konzept oder die Idee von ihm. Ich glaube, dass wir Entscheidungen so treffen sollten, als ob wir nicht wüssten, wie wir davon betroffen sind. Das geht natürlich auch viel in Richtung von Kant. Und im Wesentlichen ist es diese goldene Regel oder das sind alles sehr ähnliche Konzepte. Aber für mich bedeutet Gerechtigkeit in seiner einfachsten Ausprägung, dass ich mich bitte so entscheide, ohne mir daraus selbst einen Nutzen-Kalkül abzuleiten.
Rainer Münch: Fällt Dir ein Beispiel ein, wo dieses Prinzip und diese Vorgehensweise irgendwie auf eine besonders große Probe gestellt wurde in Deiner Karriere?
Sebastian Stricker: Ich würde sagen, es zieht sich durch meine Entscheidungen durch. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich das schaffe. Manchmal merke ich, dass ich es nicht schaffe oder dass ich es nicht besonders elegant gelöst habe. Ich war ja jetzt zuletzt in einem Startup tätig, das so an dieser Schnittstelle zwischen For Profit und Non Profit ist. Also ein Social Business, was auch immer das bedeutet. Aber ein Unternehmen, das keine Non-Profit-Organisation ist und dann wahrscheinlich, was es noch ein bisschen schwieriger macht, auch noch Investoren hat und folglich ein Spannungsverhältnis zwischen Gewinn und sozialem Nutzen besteht. Und dieses Spannungsverhältnis gab es ja dann auch für mich als Gründer, der Anteile an dem Unternehmen gehalten hat, die auch irgendwann einmal etwas wert waren, und aber auch eine große Mission hatte und hat – und sie auch kommuniziert, und aber doch auch Geld verdienen kann. Dieses Spannungsverhältnis zwischen wie viel Geld will ich dann eigentlich aus so einer Idee herausziehen für mich persönlich oder für meine Familie, und wie viel geht dann dadurch verloren für die große Mission, für andere Leute oder Ideen, die das Geld vielleicht dringender brauchen? Das ist wahrscheinlich das allergrößte Spannungsverhältnis oder das größte Problem, das ich hatte und auch nicht super gut lösen kann.
Rainer Münch: Ich glaube, gerade auf dieses Spannungsfeld For Profit und Not for Profit möchte ich gleich noch mal ein bisschen näher eingehen auch, wenn wir über die moralische Frage sprechen in Deiner Tätigkeit. Vielleicht schauen wir erst noch kurz auf den Gegenstand, den Du mitgebracht hast. Ein Buch: Robert Kennedy and His Times. Warum dieses Buch? Was repräsentiert es für Dich? Was verbindest Du damit?
Sebastian Stricker: Ja, Robert Kennedy ist aktuell wahrscheinlich das größte Idol, das ich habe. Das Buch ist gar nicht einfach zu lesen. Also eigentlich deswegen, weil es einfach sehr, sehr lang ist und zum Teil auch wirklich sehr detailliert ist und aus einer Zeit stammt, wo ich die Hintergründe zum Teil auch einfach nicht gekannt habe. Robert Kennedy steht für so viel und hat so viel gelebt, was ich attraktiv und nachahmenswert finde. Und da gibt es viele Dimensionen. Ich glaube, eine Dimension ist wahrscheinlich die, die für mich am wichtigsten ist: überhaupt Verantwortung übernehmen zu wollen. Und dann im zweiten Schritt eine Verantwortung zu übernehmen, die ich als die richtige empfinde. Also in seinem Fall soziale Gerechtigkeit. Das ist erst mal so der eine Teil. Der andere, den ich faszinierend finde, ist: Jemand, dem wirklich nicht die Dinge leicht von der Hand gegangen sind, zumindest am Anfang. Also der war ja eingebettet in einer Familie von Überfliegern und der war nicht der, bei dem alles so wie am Schnürchen geklappt hat. Der hat richtig kämpfen müssen in der Uni beispielsweise. Und das war auch nicht der große Charismatiker, dem die Leute an den Lippen gehangen sind. Dass dann trotzdem so viel drinnen ist und nicht nachzulassen, finde ich wahnsinnig sympathisch und natürlich auch nachahmenswert. Der dritte Aspekt: Er hat seine Familie geliebt. Ich glaube, alles was ich herauslese, hat die Familie ihn auch geliebt. Er hat viele Kinder gehabt. Mehr als Du.
Rainer Münch: Ja, ich weiß. Elf Kinder.
Sebastian Stricker: Und er hat es glaube ich auch geschafft, auf der einen Seite wahnsinnig viel zu arbeiten, aber dann auch präsent in der Familie zu sein. Das finde ich toll. Und dann vielleicht zuletzt: Der hat einfach auch richtig viel erlebt. Er ist knapp älter geworden als ich. Er ist tragischerweise erschossen worden und hat aber bis dahin ein Leben gehabt, da brauchen andere drei Leben, um all das zu erleben, was er erlebt hat. Der hat wirklich seine Zeit gut genutzt.
Rainer Münch: Es ist natürlich fast schon eine gewisse tragische Aktualität auch mit Robert Kennedy, dass er ja getötet wurde von einem palästinensischen Attentäter im Zusammenhang mit israel-freundlichen Äußerungen und einer Haltung, die er da eben auch dargestellt hat – eine Erinnerung, wie lange diese Thematik schon da ist und wie lange sie eben auch von Gewalt und Eskalation außerhalb dieser Region begleitet wird, gerade eben auch in den USA.
Sebastian Stricker: Ja. Unendlich tragisch. Auch unendlich viel Pech dabei. Wenn ich mich richtig erinnere, haben sie sich ja im letzten Moment entschieden, dass er durch die Küche dieses blöde Hotel verlässt. Und gerade in der Küche war dann der verwirrte Einzelgänger, der dann auch noch eine Waffe hatte und ihn auch noch getroffen hat. Und das alles an dem Abend, als er die Vorwahlen in Kalifornien gewonnen hat und drauf und dran war, der demokratische Kandidat für die Präsidentschaftswahlen zu werden. Also so viel Pech dabei. Und dann stirbt er auch nicht sofort. Und das Erste, was er fragt, ist wie es den anderen Leuten geht. Viel mehr Heldengeschichte und viel mehr Tragik passt da in diese Situation aus meiner Sicht nicht. Also ich glaube, wenn ich versuche es in die heutige Zeit zu bringen, haben wir nicht weniger Probleme heute als damals und damals hatten wir richtige Probleme.
Rainer Münch: Also generell diese ganze Familiengeschichte. Und ich habe auch gelesen, dass die am meisten beachtete Rede von ihm zeitlich parallel war zur Ermordung von Martin Luther King. Also auch da eine unglaubliche Tragik auch in diesem Leben drin. Noch mal zurück zu dem, was Du eingangs gesagt hast, wie Du auf ihn schaust und wie er Dich auch inspiriert mit dem Leben, was er geführt hat. Ist es so, dass Du da eine gewisse Parallele siehst zu dem, wie Du aufgewachsen bist und wie Du ins Leben reingegangen bist?
Sebastian Stricker: Also er ist mein Idol. Ich versuche wahrscheinlich so zu sein, wie er es war. Ich würde demzufolge wahrscheinlich gerne Parallelen sehen. Ich muss anerkennen, dass ich nicht annähernd an das herankomme. Er ist entweder 42- oder 43- oder 44-jährig gestorben. Ich bin jetzt 41. Ich hoffe, dass ich deutlich mehr Zeit habe als er und ich überlege: Was soll ich denn machen mit meiner Zeit? Sozusagen das, was ich aus seinem Leben herauslese, wie auch aus dem Leben anderer und wie ich es auch dann eben bei Philosophen wie John Rawls oder so herauslese, so versuche ich es zu organisieren.
Rainer Münch: Ja, ich finde immer, die große Herausforderung, wenn man sich mit solchen Menschen misst, die einfach sehr groß sind in dem Wirken und in ihrem Einfluss, ist dann häufig auch das Thema Energie. Also dass man einfach anerkennen muss, wie viel Energie dahintersteckt und wie viel Kraft eben auch. Was die alles leisten im Beruflichen, im Privaten, wie viele Widerstände sie auch verarbeiten müssen und immer weiter, immer weiter. Das finde ich auch immer bemerkenswert und muss dann auch hier und da immer meine eigenen Grenzen anerkennen beim Nacheifern. Wo man sagt, da muss man vielleicht ein bisschen früher und länger auch mal die Batterien aufladen. Wo man das Gefühl hat, es gibt Menschen, die haben einfach einen Dauerladezustand.
Sebastian Stricker: Das war der Grund, warum ich aus der Unternehmensberatung raus gegangen bin. Ich erzähle immer die Anekdote: Es gab einfach Leute, die konnten in Flugzeugen schlafen. Ich war es nicht. Ich war einfach immer fertig, wenn ich angekommen bin, und deswegen musste ich da raus.
Rainer Münch: Würdest Du denn glauben, dass es allgemein sozusagen auch eine Empfehlung ist, sich das ein oder andere Rollenmodell zu suchen, was Werte angeht? Glaubst Du, dass es inspirierend ist und Kraft gebend? Oder würdest Du sagen, da ist vielleicht jeder auch ein bisschen anders und dem einen gibt es Kraft und den anderen erschreckt es vielleicht eher?
Sebastian Stricker: Ich bin der Meinung, dass ich wenig Tipps geben sollte, weil ich einfach mich nicht in andere Leute hineinversetzen kann und deren Situation nicht so gut verstehe. Bei mir funktioniert es. Und ich wünsche mir ja, jetzt gerade in meinem Kontext, ich sehe da meinen Sohn heranwachsen, und wünsche mir, dass er vielleicht manche Dinge eher macht als andere und werde versuchen, da irgendwie darauf hinzuwirken. Und folglich werde ich ihm dann vielleicht auch von Bobby Kennedy oder all den anderen erzählen. Also in Zusammenfassung: Ich würde sagen, bei mir funktioniert's. Den Rest müssen die anderen Leute für sich selbst entscheiden.
Rainer Münch: Bei mir ist das Vorbild eher in der Familie. Also eher mein Großvater, der da vieles vorgelebt hat, auch was Werte angeht und eine gewisse Gradlinigkeit auch immer hatte und dazu auch gestanden hat und auch bereit war, Opfer zu bringen, wenn er eben für seine Werte auch einstand.
Sebastian Stricker: Toll. Was hat er gemacht?
Rainer Münch: Er war Müller. Er hat sozusagen eine völlig heruntergekommene, nicht mehr in Betrieb befindliche Mühle irgendwann übernommen, weil er einfach selbstständig sein wollte und hat die dann wirklich mühsamst aufgebaut, wieder in Schuss gebracht. Er war ein Leben lang Müller. Gerne möchte ich dann zurückkommen auf das Thema Profit, Not for Profit. Du bist da ein ganz spannender Podcast-Gast. Weil natürlich dieses Spannungsfeld Purpose vs. Profit hast Du ja auch mit share so ein bisschen an die Grenzen getrieben und hast einerseits ein Unternehmen gegründet mit einer Philosophie des konsequenten Teilens, andererseits aber auch ein For-Profit-Unternehmen dahinter mit den Gewinnerwartungen – auch der Shareholder. Und: Wie lässt sich das vereinbaren?
Rainer Münch: Wie kam es bei Dir zu der Entscheidung, nach der Zeit bei den United Nations eben auch in Anführungszeichen die Seiten zu wechseln, aber dem Zweck treu zu bleiben?
Sebastian Stricker: Das war nicht nur eine rationale Geschichte, sondern auch Emotion und Zufall einfach und Umfeld. Als ich ShareTheMeal gegründet habe und dann aufgebaut habe, war es für mich sehr anstrengend, immer Geld zu raisen, für das ich nichts zurückgeben kann. Und ich musste ja am Anfang zumindest Gehälter zahlen und zum Teil habe ich selber das Geld dafür aufgebracht, aber dann irgendwann ist es halt so teuer geworden, es war ja eine Non-Profit-Organisation, dass ich um Geld betteln musste. Und das war einfach anstrengend. Und deswegen wollte ich das beim nächsten Projekt nicht unbedingt wieder so erleben. Und ich war dann auch noch in dieser ganzen Berliner Startup-Bubble drinnen, wo links und rechts Hunderttausende und Millionen von Euro zur Verfügung gestellt werden für neue Ideen. Da würde ich sagen, da bin ich so reingerutscht, dass ich share als Non Profit hätte machen können oder als Social Business, was auch immer das bedeutet, und halt dafür Geld bekomme. Ich würde sagen es gibt einen Case, wo For Profit durchaus eine Rolle spielt, um gesellschaftlichen Fortschritt zu generieren. Ich glaube nicht an Gewinnmaximierung. Ich glaube, es gibt so etwas wie eine faire Rendite oder einen angebrachten Nutzen, den man aus einem Aufwand und aus einem Risiko herausziehen kann. Ich glaube, mein Glück mit share war, dass die Geldgeber, die Shareholder sozusagen, damit okay sind, dass es nicht um Gewinnmaximierung geht, sondern dass es auch irgendwann einmal reicht und sie sagen, dann hat sich das ausgezahlt, auch aus finanzieller Perspektive. Das ist wahrscheinlich der springende Punkt in meiner Einschätzung.
Rainer Münch: Waren sich da und sind sich da die Shareholder immer einig, was das angeht?
Sebastian Stricker: Ich glaube, ich würde es gerne loslösen von share. Ich bin da seit zwei Jahren draußen und das war dann auch wahrscheinlich so eine realistische Geschichte, so wie es das Leben manchmal spielt. Das ist auch nicht immer alles so gelaufen, wie ich es mir jetzt im Nachhinein wünsche. Ich würde sagen, dass so etwas klappt im Rahmen des venture fueled Berliner Startup-Umfelds ist eher unwahrscheinlich. Auch ich habe Entscheidungen getroffen, wo ich mir eigentlich damals schon hätte denken können, na ja, ob das gut gehen wird, da bin ich mir jetzt nicht so sicher. Also ich glaube, wenn man Geld reinholt und sich auf das Gewinnmaximierungsspiel oder auf das Verzinsungsspiel einlässt, dann muss man sich schon sehr, sehr genau anschauen, von wo das Geld kommt und im besten Falle auch von Anfang an klären, was denn die Erwartung für das Geld ist.
Rainer Münch: Wenn Du das noch mal kontrastiert mit der Non-Profit-Welt: Wo siehst Du da die Vorteile des For-Profit-Modells mit einer sehr starken, konsequenten Zweckorientierung, und wo die Nachteile? Und was glaubst Du, ist sozusagen am Ende vielleicht das Modell, was den größeren Beitrag leisten kann für eine in Anführungszeichen Verbesserung der Welt?
Sebastian Stricker: Also ich glaube, auf die zweite Frage kann ich nicht antworten. Ich weiß es einfach nicht. Und ich bin immer so ein bisschen misstrauisch, wenn jemand glaubt, das zu wissen. Ich habe in beiden Welten gearbeitet und ich habe, glaube ich, den krassen Hebel gesehen, den die Vereinten Nationen haben. Also da geht es um Größenordnungen auch in Situationen, wo es einfach niemand anderer macht. Es gibt einfach kein Unternehmen, das Nahrungsmittel verteilt, wenn es niemand bezahlen kann. Aber gleichzeitig bin ich raus aus der Non-Profit-Welt oder vor allem aus dem großem IGO, also diese ganzen großen internationalen Organisationen, weil es mir zu schwerfällig und zu bürokratisch und zu politisch war. Ich berate aktuell und baue auch so meine Projekte und gebe Reden und so Sachen. Also ich glaube, Geld kann sehr hilfreich sein, um Dinge zu starten, die sonst nicht startbar sind, um Dinge zu skalieren, die sonst einfach zu lange dauern würden. Wenn das eine Non-Profit-Organisation leisten kann oder das Geld Non Profit kommt, dann finde ich das super. Aber es ist halt nicht immer so und dann finde ich es auch nur fair, wenn es klar ist, was für eine Form von Verzinsung dafür erwartet wird, dass man diese Verzinsung auch berücksichtigt. Wo es schwierig wird, aus meiner Sicht ist, wenn das Mantra Gewinnmaximierung ist. Das ist aus meiner Sicht eigentlich relativ leicht verständlich. Wenn man gewinnmaximiert, dann geht es einfach irgendwo anders weg. Also irgendein Stakeholder bekommt dann weniger vom Kuchen, ob es jetzt die Kunden oder Konsumentinnen sind oder ob es die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind oder wer auch immer. Irgendjemand kriegt diese Gewinnmaximierung dann nicht, wenn es die Shareholder bekommen und folglich ist das für mich im Widerspruch zu einer Balance, die wir halten müssen. Ich schiebe da gleich noch einen anderen Gedanken nach, bevor ich ihn vergesse. Ich glaube auch einfach anzuerkennen, wie viel Zufall und wie viel Glück dazu gehört, zu welchen Stakeholdern man gehört, ob man zu den Stakeholdern gehört, die Gewinnmaximierung betreiben können oder zu den Stakeholdern, die einfach hoffen müssen, dass Entscheidungen getroffen werden, mit denen man leben muss, aber die man nicht mit beeinflussen kann. Also, daraus leite ich für mich ab, dass die, die können haben eine moralische Verpflichtung, auf eine gewisse Balance zu schauen.
Rainer Münch: Gibt es denn in Deiner persönlichen share-Geschichte ein Projekt oder einen Meilenstein, den Du als ganz besonderes Highlight empfunden hast?
Sebastian Stricker: Wenn ich damals als ich es gestartet habe gewusst hätte, wo wir heute stehen, dann hätte ich mir gedacht: Das ist ja unglaublich, ich muss nie wieder was anderes machen. Sämtliche Ziele sind erreicht und ich kann glücklich sterben. Und jetzt im Nachhinein denke ich mir: Also es ist nicht optimal gelaufen, da ist deutlich mehr drin bei beiden Projekten, die ich gemacht habe. Ich habe keinen großen Meilenstein, der so heraussticht. Es gab sehr viele Erfolgsgeschichten. Aber das Wichtigste für mich ist: Ich habe in dem ganzen Kontext meine Familie sozusagen aufgebaut. Ich weiß nicht, ob ich die Leute getroffen hätte, also vor allem meine Freundin getroffen hätte, wenn ich das nicht gemacht hätte, was ich gemacht habe. Das ist wahrscheinlich das Beste an dem Ganzen. Dass wir dann auch noch ein Kind bekommen haben, das ist fantastisch. Und ich gehöre zu den Leuten, die sich zwingen müssen, Erfolge zu feiern und zufrieden zu sein mit dem, was passiert.
Rainer Münch: Würdest Du sagen, da machst Du Fortschritte, bei diesem Dich zu zwingen?
Sebastian Stricker: Also ich bin seit zwei Jahren draußen aus dem crazy Arbeitsalltag. Ich habe wirklich wahnsinnig viel gearbeitet, also so wie ihr arbeitet hier. Und diese letzten zwei Jahre haben mir sehr gutgetan. Ich glaube, ich weiß viel mehr, was mich interessiert. Ich finde die große Verantwortung, die wir alle haben, ist sich zu überlegen, wie man priorisiert, also wie viel arbeite ich, wie viel Zeit verbringe ich mit meiner Familie, wie viel achte ich auf mich selbst. Und bis vor zwei Jahren war mein Mindset einfach: Ich gebe Gas und es geht um meine Startups und meine Projekte und ich ignoriere einfach die anderen Fragen und die anderen Bedürfnisse und auch die anderen Menschen und die anderen Beziehungen. Und das ist jetzt nicht mehr so.
Rainer Münch: Gab es einen Auslöser für Dich für diesen Sinneswandel?
Sebastian Stricker: Da gab es ein paar, die zusammengekommen sind. Zum einen war ich sehr k.o. Ich war noch nicht im Burnout, aber ich war schon wirklich fertig. Zweitens ist die Familie entstanden. Wir sind drei geworden. Und drittens gab es sozusagen eine strategische Weichenstellung, wo ich sehr überzeugt war von einer Richtung und die, die es dann am Ende entschieden haben, von einer anderen. Und dann sind die Dinge zusammengekommen und hier bin ich.
Rainer Münch: Jetzt hattest Du vorhin schon mal erwähnt, dass Du grundsätzlich davon absiehst, irgendwie Ratschläge zu geben, weil Du natürlich nie weißt, wo die andere Person dann eben auch steht. Ich will trotzdem fragen für einen jungen Menschen, der auch von Dir und Deinem Weg inspiriert ist, eben diese Perspektiven zu verbinden von einem sozialen Unternehmertum und einer Social Brand, und parallel aber schon auch mit einem gewissen Anspruch und einer Shareholder-Orientierung und einer Gewinnorientierung zumindest. Wie komme ich als junger Mensch da rein? Wie komme ich dahin? Wo starte ich? Wie kann ich diese Dinge, betriebswirtschaftlich zu arbeiten und eben wirklich extrem sinnorientiert zu sein, zusammenbringen?
Sebastian Stricker: Ja, das klingt jetzt vielleicht platt ja, aber es gibt das Umfeld, das das macht und das ist wahrscheinlich eine relativ kleine Nische, aber die Nische gibt es. Und dann eben mit den Leuten oder mit den Organisationen etwas zu tun, ist wahrscheinlich die platte Antwort jetzt. Der große Unterschied zwischen denen, die ich spannend finde und denen, die ich nicht so spannend finde: Die, die ich spannend finde, da startet das alles mit einem gesellschaftlichen Thema, um das es geht, und nicht mit „Ich will Geld verdienen“. Ich finde es super, wenn man sich mit einem gesellschaftlichen Thema auseinandersetzt und deswegen Geld verdient. Da wird es für mich dann interessant und insofern, was ich damit meine ist: Der Startpunkt ist: Will dieses Team oder diese Organisation oder will ich selber auf einem gesellschaftlichen Thema arbeiten oder will ich Geld verdienen? Und da ist so für mich die unterschiedliche Perspektive in dem Weg. Es ist tatsächlich so, dass häufig junge Leute auf mich zukommen oder auch ältere, aber meistens sind sie jung, also in den Zwanzigern, und ich habe es auch selber erlebt: Dadurch, dass das noch nicht so üblich ist oder einfach so viele mehr einen traditionelleren Weg gehen, ist es manchmal schwierig auch den Mut aufzubringen, etwas anders zu machen. Ich hatte auch große Angst, den sicheren Hafen des gut bezahlten Jobs zu verlassen und hatte dann einen Chef, der gesagt hat: „Du, ich erzähle niemandem, dass Du auf Deinem Startup arbeitest. Wir bezahlen Dir Dein Gehalt weiter und Du arbeitest einfach auf Deinem Startup weiter.“ Und das war der Grund, warum ich wahrscheinlich dann den Absprung gemacht habe, sonst hätte ich es mich vielleicht einfach nicht getraut. In Retrospektive würde ich sagen, das Risiko, das man damit eingeht, ist so so gering. Also wir, die wir hier in Deutschland oder in Europa leben: Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist ja nicht schlimm. Wir werden immer genug zu essen haben. Wir werden immer ein Dach über dem Kopf haben. Und üblicherweise ist jetzt so ein Schlenker im Lebenslauf auch nicht so kritisch. Folglich sage ich immer: Was ist denn das Schlimmste, was passieren kann? Das ist aus meiner Sicht gar nicht schlimm.
Rainer Münch: Ich höre so ein bisschen zwei Dinge heraus, auch als Empfehlung. Das eine ist eben diese Suche nach Gleichgesinnten und einfach da in so eine gewisse Community auch reinzukommen, die einem helfen kann in der Navigation. Und das zweite ist vielleicht im Idealfall auch einen Sponsor zu finden, der einen da so ein bisschen unterstützt. Sei es jetzt materiell oder auch ideell einfach so ein bisschen den Rücken nochmal freizuhalten, nochmal ein bisschen zu bestärken. Und ich finde es auch schön, dass Du sagst, es ist schon auch ein Wagnis und es ist gar nicht so, hinterher sagt man ja, das ist ja so ein ganz gradliniger Weg gewesen von dem Sebastian, aber offensichtlich auch bei Dir gar nicht so einfach, sondern auch mit Hürden und Überwindung.
Sebastian Stricker: Jetzt, wo wir darüber reden, würde ich sagen, Mut auch einfach, und anzuerkennen, dass das Risiko wirklich gering ist. Es mag nicht funktionieren. Das kann schon passieren. Aber dann ist ja nicht viel passiert. Und insofern würde ich sagen: Ich würde den Sponsor damit ersetzen, einfach mutig genug zu sein. Mutiger als ich damals war.
Rainer Münch: Und das mit den Gleichgesinnten ist auch für mich persönlich eine ganz spannende Erfahrung. Jetzt mit diesem Podcast-Projekt mit dem Titel Purpose vs. Profit, dann spreche ich natürlich einige an, ob sie Interesse hätten, als Gast zu kommen. Und die einen, die sind relativ schnell Feuer und Flamme, sagen das finden sie spannend, das ist auch etwas, was sie persönlich beschäftigt, als Fragestellung im Beruf, im Leben. Und es gibt andere, die winken eher ab, die sagen, das stellt sich für sie nicht. Und das ist natürlich auch so eine Selektion, was die Gesinnung angeht und wie das auch funktioniert und wo man sich dann eben auch wohlfühlt in dem Kreis.
Sebastian Stricker: Kann man da irgendwelche Regelmäßigkeiten erkennen? Sind das eher die Jungen oder eher die Alten oder eher die, die schon etwas erreicht haben? Oder erkennst Du dort irgendetwas?
Rainer Münch: Spannenderweise explizit nicht. Sondern explizit aus allen möglichen Branchen, Schichten, Positionen, Hintergründen. Es ist einfach eben diese Wertorientierung. Wie präsent ist die für einen? Wie stark lässt man die auch zu, als Konflikt auch im Leben, als Herausforderung für sein Tun? Wie sehr beschäftigt einen das auch? Handele ich jetzt wertetreu oder blende ich den Teil eher aus und sage, es ist jetzt halt Business und es geht um Geld verdienen und abgerechnet wird hinterher? Zum Abschluss hatte ich Dich gebeten, Dich mit dem Fragebogen von Max Frisch auseinanderzusetzen und eine Frage auszuwählen, die wir vertiefen. Und Du hattest Dich entschieden für eine Moralfrage, nämlich: Entscheiden Sie nach moralischen Gesichtspunkten, bevor sie handeln? Oder genügt es Ihnen, dass Sie nachträglich Ihre Handlungen moralisch rechtfertigen können? Warum hast Du Dich für diese Frage entschieden?
Sebastian Stricker: Ich glaube aus dem Gesprächsverlauf ist es wahrscheinlich relativ klar, was meine Meinung dazu ist. Ich habe mich dafür entschieden, weil sie für mich so einfach zu beantworten war und sie so viel ausdrückt, was mich gerade beschäftigt. Also ich bin natürlich der Auffassung, dass ich keinesfalls im Nachhinein versuchen darf, eine moralische Rechtfertigung für mein Tun zu finden. Ich bin der Auffassung, ich muss nach moralischen Gesichtspunkten entscheiden, zuallererst vom Start weg, auch wenn mir das nicht immer gelingt oder auch wenn ich da einen Konflikt zwischen Analyse und Emotion habe. Also ich glaube, wenn es so etwas gibt wie Moral und ich das für wichtig halte, dann muss ich das ja auch als Anleitung für meinen Weg nehmen.
Rainer Münch: Also diese Frage hat ja auch eine zeitliche Komponente, ganz prominent. Die in sich finde ich sehr spannend, weil da gibt es ja immer die Vergangenheitsbetrachtung und die Vergangenheitsaufarbeitung und die Bewertung der Vergangenheit. Und ich finde, dass da die Gefahr besteht, dass man sich zu sehr festbeißt und aufhält und unterschätzt, wie viel Einfluss ich nehmen kann auf die Zukunft. Und selbst wenn ich sozusagen in der Vergangenheit Dinge falsch gemacht habe und gerne anders gemacht hätte, kann ich da hängen bleiben oder ich kann daraus lernen, ich kann daraus nach vorne was mitnehmen und ich kann mein Verhalten anpassen. Und das finde ich, ist ja auch im Berufsalltag ganz häufig ein Thema, dass man sich dann aufreibt an irgendwelchen Entscheidungen, die getroffen sind, und Dinge, die man vielleicht falsch gemacht hat und dass die Energie fast dafür draufgeht und dass zu wenig Energie dann in die Entwicklung geht und auch in die Frage natürlich, das steckt ja auch hier drin: Was kann ich tun? Was kann ich tun? Ich kann die Welt nicht ändern. Ich kann die Mitmenschen nicht ändern. Aber ich kann an mir Dinge ändern, wie ich mit Dingen umgehe und wie ich die verarbeite. Und das finde ich, schwingt für mich alles so ein bisschen in dieser Frage mit, was auch noch mal über Moral hinausgeht.
Sebastian Stricker: Ja! Ich stimme Dir da total zu.
Rainer Münch: Würdest Du sagen bei Dir ist das etwas, was sich über die Jahre auch verändert, entwickelt hat? So ein bisschen diese Perspektive, diese Trennung Vergangenheit, Zukunft, Reflektion, Lernen, Weiterentwickeln? Oder war das schon immer da bei Dir?
Sebastian Stricker: Also ich glaube, ich habe fast so eine U-Kurve gemacht. share heißt ja auch share, weil es übersetzt teilen heißt. Und das war in Wien, als ich da im Kindergarten war, das war ein prominentes Thema, der heilige Martin und der Mantel, der geteilt wird. Bei allen Kindern und auch den Kindergärtnerinnen, in meinem Fall, war es klar, dass das ein erstrebenswertes Verhalten ist. Ich beobachte an mir, dass das dann abgenommen hat und ich eigentlich nur noch im Jetzt gelebt habe und explizit nicht an die Zukunft denken wollte oder an die Vergangenheit. Und jetzt, da ich vielleicht auch viel mehr Zeit habe, um mir das zu überlegen, das wieder viel, viel wichtiger geworden ist. Und ich glaube so auch wie ich das jetzt herausgehört habe aus Deiner Interpretation der Frage und der Aspekte, die für Dich resonieren: Ich versuche aus der Vergangenheit zu lernen, aber eher so fast aus einer praktischen Perspektive. All die Fehler, die ich gemacht habe, also was schiefgegangen ist an meinen letzten Startups, das jetzt anders zu machen und vielleicht von Anfang an besser zu überlegen, was ich eigentlich machen will. Insofern: Meine Perspektive hat sich wahrscheinlich geändert auf Jetzt und Zukunft. Und es ist für mich unheimlich wichtig, diese Perspektive, wenn ich mal 85 bin und zurückblicke, also ich hoffe, ich werde 85, und dann noch mal zurückblicke, war das dann richtig, was ich gemacht habe? Also ich denke, das ist so ein Gedankenexperiment, das ich immer wieder mache. Wie würde ich mir denn dann wahrscheinlich wünschen, dass ich mich heute entschieden hätte?
Rainer Münch: Spannende Projektionen, mit denen ich mich auch gerne beschäftige: diesen Rückblick. Und das ist auch wieder eine Brücke zu diesem: Ich kann jetzt sozusagen Inventur machen, wo ich stehe und das, was schon vorbei ist, ist so. Aber ich kann jetzt den Rest bis zu diesem Zeitpunkt einfach noch beeinflussen und das ist alles noch möglich.
Sebastian Stricker: Birgt auch wahnsinnig viel Schaffenslust oder Schaffensmöglichkeit. Stimme ich voll zu.
Rainer Münch: Ich fand es jetzt auch schön, dass Du Sankt Martin noch mal erwähnt hast. Ich finde, da schließt sich so ein bisschen ein Kreis. Wir haben irgendwie so ein Rollenmodell, so ein Vorbild, wie Du ja auch mit Bobby Kennedy eins angeführt hast. Auch dieses Vorleben mit Deinem Sohn, die richtigen Werte zu vermitteln. Und jetzt, wo Du es erwähnst, finde ich das auch noch mal schön, dieser Gedanken, dass der Sankt Martin mit dem Teilen auch in den Kindergärten noch viel stattfindet und dass er da zumindest überwiegend, was ich so von meinen Kindern mitbekommen habe, auch als Inspiration gesehen wird und als ein sehr positiver Mensch und ein sehr positives Verhalten und das ist natürlich total schön, das den Kindern auch so zu vermitteln. Von daher, lieber Sebastian, ein ganz runder Abschluss von dem Gespräch. Ich danke Dir ganz herzlich für die Offenheit. Hat mir viel Spaß gemacht. Ich hoffe, Dir auch.
Sebastian Stricker: Ja, danke für Deine Unterstützung, auch bei meinen bisherigen Projekten. Danke für das Gespräch.